MDR1-Defekt

Der MDR1-Defekt ist ein Defekt im MDR1-Gen, der bei einigen Hunderassen verbreitet ist. Dadurch kommt es zu einer mangelhaften oder fehlenden Synthese eines bestimmten Proteins (P-Glykoprotein, P-gp), welches ein wichtiger Bestandteil der Blut-Hirn-Schranke ist, was zu einer Überempfindlichkeit gegenüber manchen Arzneimitteln führt. Urheber dieses Defektes ist wahrscheinlich ein einziger Hund, der etwa Mitte des 19. Jahrhunderts gelebt hat und maßgeblich an der Entstehung und Festigung der Rasse Collie (Langhaarcollie/Kurzhaarcollie) beteiligt war. Daher lässt sich dieser Defekt bei Hunderassen finden, die nachweisbar mit dem Collie verwandt sind. Bei anderen vom Defekt betroffenen Rassen dient diese Mutation dann als Nachweis der Verwandtschaft. Ein funktionierendes MDR1-System ist vor allem bei Säugetieren (also auch Menschen) bekannt und hier evolutionsgeschichtlich sehr alt. Tiere, die dieses System nicht besitzen, können ähnliche Empfindlichkeiten für Medikamente zeigen.

Entdeckung des Gendefekts

Seit den 1990er Jahren ist bekannt, dass manche Hunderassen an einer Überempfindlichkeit gegenüber manchen Arzneistoffen leiden. Besonders bekannt wurde dabei die Ivermectin-Überempfindlichkeit der Collies. Bei der Gabe von Ivermectin oder verschiedenen anderen Arzneimitteln kann es bei diesen Hunden zu neurotoxischen Symptomen, wie Bewegungs- und Koordinationsstörungen, Zittern, Benommenheit, Erbrechen, Desorientiertheit und vermehrtem Speichelfluss kommen, höhere Dosen können auch zu komatösen Zuständen und sogar zum Tod des Tieres führen.

Erst mit der Generierung einer Knockout-Maus, bei der das MDR1A-Gen ausgeschaltet wurde, gelang die Aufklärung dieser Überempfindlichkeit. Bei Gabe von Ivermectin als Mittel gegen Parasiten kam es bei mdr1a(−/−) Mäusen, nicht jedoch bei mdr1a(+/−) oder mdr1a(+/+) Mäusen zu Todesfällen. Bei Untersuchungen der verstorbenen Mäuse konnte im Gehirn eine 87-fach höhere Ivermectin-Konzentration nachgewiesen werden. Bei einer Untersuchung eines an Ivermectin verstorbenen Collies wurde ebenfalls eine stark erhöhte Ivermectin-Konzentration im Gehirn festgestellt. Der Verdacht, dass bei manchen Hunden eine Mutation im MDR1-Gen vorliegt, lag also nahe.

Bei Untersuchungen der genetischen Sequenzen des MDR1 eines Beagles und eines Ivermectin-sensitiven Collies wurden Mutationen in der Sequenz des Collies festgestellt. Diese führten dazu, dass die Synthese des MDR1-Proteins abbricht. Aufgrund seiner Lokalisation im Leserahmen für das MDR1-Protein wird der Defekt als nt230(del4) MDR1-Mutation bezeichnet. Bei weiteren Untersuchungen konnte dieser Gendefekt bei verschiedenen Hunderassen nachgewiesen werden.

Symptome, Diagnostik und Folgen für das Tier

Der Defekt im MDR1-Gen führt zu einer mangelhaften oder fehlenden Synthese des P-Glycoproteins. Dieses Eiweiß spielt eine Rolle bei ATP-abhängigen Transportvorgängen zwischen Blut und Gewebe und ist im Gehirn, in Leber, Nieren, Darm, Plazenta undHoden zu finden. Neben seiner Funktion beim Transport körperfremder Stoffe, limitiert es den Transport der Hormone der Nebennierenrinde (Cortisol, Corticosteron) in das Gehirn und hat damit Einfluss auf die Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinden-Achse. Bei einem MDR1-Defekt kommt es daher zu einem erhöhten Übergang der Nebennierenrindenhormone in die übergeordneten Zentren und aufgrund des negativen Feedbacks zu erniedrigten Kortisolwerten im Blut. Als eine weitere Folge des Defektes wird auch eine höhere Anfälligkeit für chronisch entzündliche Darmerkrankungen vermutet.

Bei nicht vom Defekt betroffenen Tieren dient dieses Protein u. a. dazu, körperfremde Stoffe wie Arzneimittel aus dem Körper herauszutransportieren. Es besteht also eine Art Resistenz gegenüber unerwünschten Nebenwirkungen – die sogenannte Multiple Drug Resistance.

Bekannt sind bisher die Auswirkungen auf die Blut-Hirn-Schranke. Bei dieser Grenze zwischen den Hirnblutgefässen und dem Hirnnervengewebe stellt ein sogenannter MDR1-Transporter eine Schutzbarriere für das Gehirn dar. Dieser Transporter ist Teil der Blut-Hirn-Schranke und befindet sich normalerweise auf der Oberfläche der Endothelzellen (Zellen, die die Wände der Blutgefäße auskleiden). Er sorgt dafür, dass toxische Verbindungen und Arzneistoffe in den Gehirnkapillaren zurückgehalten werden und nicht in das Gehirn eindringen können.

Besteht nun bei einem Hund der MDR1-Defekt, fehlt der Transporter und der Schutz funktioniert nicht mehr. Bei betroffenen Tieren können daher nach der Verabreichung von bestimmten Antiparasitika, Zytostatika, Durchfallmitteln oder Antibiotika starke neurotoxische Nebenwirkungen auftreten – bis zum Tod. Bei Mäusen, bei welchen der MDR1-Transporter bewusst ausgeschaltet wurde, traten nicht nur Ivermectin, sondern auch zahlreiche andere Arzneistoffe bis zu 90-fach mehr ins Gehirn als bei Vergleichstieren mit intakter Blut-Hirn-Schranke. Diese Stoffe sind auch eine potentielle Gefahr für einen vom MDR1-Defekt betroffenen Hund.

Mögliche Folge dieses Gendefektes ist die Überempfindlichkeit des Hundes gegenüber bestimmten Arzneistoffen. Da die Gabe einiger dieser Mittel bei betroffenen Hunden allerdings zum Tode führen kann, wird ein Gentest aller Hunde betroffener Rassen empfohlen. Die Universität Gießen bietet einen Test auf den MDR1-Defekt an. Zu diesem Zweck nimmt der Tierarzt dem zu untersuchenden Hund eine kleine Menge Blut ab (1 ml EDTA-Blut) und sendet diese Probe an die Universität. Mit Hilfe eines genetischen Tests wird die Blutprobe dann auf ein Vorliegen der MDR1-Mutation untersucht, das Ergebnis wird dem Hundehalter mitgeteilt.

Ist der Hund vom Defekt betroffen, hat der Hundehalter einige Dinge zu beachten. So dürfen beispielsweise bestimmte Wurmkuren und Flohschutzmittel nicht mehr verabreicht werden. Auch bei Durchfall oder Herzerkrankungen eingesetzte Medikamente können weitreichende unerwünschte Nebenwirkungen haben. Bekannt ist eine Überempfindlichkeit z. B. für die Wirkstoffe Ivermectin, Doramectin, Moxidectin (nur bei oraler Anwendung) und Loperamid. Milbemycinoxim und Emodepsid dürfen nur unter exakter Dosierung eingesetzt werden. Viele weitere Wirkstoffe stehen aber in dem Verdacht, unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen zu können. Generell sollte daher der behandelnde Tierarzt über den Defekt informiert werden. Der Hund selber gilt als Risikopatient.

Bei Spaziergängen ist dann darauf zu achten, dass der Hund keinen Kot von beispielsweise Pferden zu sich nimmt, da dieser einen der gefährlichen Wirkstoffe in unveränderter Form enthalten kann.

Bisher sind Überempfindlichkeiten vor allen bei Hunden mit homozygoter Vererbung des MDR1-Defektes (MDR1 −/−) bekannt. Inzwischen wurden aber auch Reaktionen bei Trägern (MDR1 +/−) beobachtet. In einer US-amerikanischen Studie (siehe unter Links) werden die Träger deshalb als „sensitive“ bezeichnet, die vom Defekt betroffenen Hunde (MDR1 −/−) als „super sensitive“. Ebenfalls in den USA wurden die vom Defekt betroffenen Hunde inzwischen von der Forschung als Versuchstiere entdeckt.

Auswirkungen auf die Zucht

Aufgrund der Probleme in der Arzneitherapie von Hunden mit dem Genotyp MDR1(−/−) wird z. B. von der Universität in Gießen empfohlen, den Gendefekt in der Zucht betroffener Hunderassen zu berücksichtigen und so zu verpaaren, dass keine vom Defekt betroffenen Nachkommen entstehen können. Der MDR1-Genotyp eines Hundes ergibt sich aus der Kombination eines von väterlicher (+ oder −) und eines von mütterlicher Seite (+ oder −) vererbten Merkmals. „+“ steht dabei für ein intaktes MDR1-Gen und „−“ für ein defektes MDR1-Gen bezogen auf das Merkmal MDR1 nt230(del4). Für den MDR1-Genotyp eines Hundes gibt es drei verschiedene Möglichkeiten: Nicht betroffen – MDR1(+/+), Merkmalsträger – MDR1(+/−) und Betroffen – MDR1(−/−).

Ist der MDR1-Genotyp zweier Zuchttiere bekannt, kann bereits eine theoretische Voraussage über die MDR1-Genotypen der Nachkommengeneration getroffen werden. Betroffene Tiere mit dem Genotyp MDR1(−/−) können aus einer Kreuzung der Genotypen MDR1(+/−) x MDR1(+/−), MDR1(+/−) x MDR1(−/−) oder MDR1(−/−) x MDR1(−/−) entstehen. Bei Kreuzung der Genotypen MDR1(+/+) x MDR1(−/−), MDR1(+/+) x MDR1(+/−), und MDR1(+/+) x MDR1(+/+) entstehen dagegen keine betroffenen MDR1(−/−) Tiere, aber außer bei MDR1(+/+) x MDR1(+/+) unter Umständen wieder Merkmalsträger.

Nachdem einige dem Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) angeschlossenen Zuchtvereine schon von sich aus diese Verpaarungsregeln beachtet hatten, hat der VDH diese den ihm angeschlossenen Collie- und Sheltiezuchtvereinen im Juni 2009 auferlegt. Ab November 2009 müssen nun sämtliche Zuchttiere auf den MDR1-Defekt getestet werden. Ziel ist, keine vom Defekt betroffenen Nachkommen mehr zu erzeugen.

 MDR-Genotyp der Hündin
MDR-Genotyp des RüdenMDR1(+/+)MDR1(+/−)MDR1(−/−)
MDR1(+/+)100 % MDR1(+/+)50 % MDR1(+/+)
50 % MDR1(+/−)
100 % MDR1(+/−)
MDR1(+/−)50 % MDR1(+/+)
50 % MDR1(+/−)
25 % MDR1(+/+)
50 % MDR1(+/−)
25 % MDR1(−/−)
50 % MDR1(+/−)
50 % MDR1(−/−)
MDR1(−/−)100 % MDR1(+/−)50 % MDR1(+/−)
50 % MDR1(−/−)
100 % MDR1(−/−)

Betroffene Rassen

Die Projektgruppe MDR1-Defekt beim Collie an der Justus-Liebig-Universität Gießen hat im Jahr 2004 im Rahmen einer Studie zur Häufigkeit des MDR1-Defektes bei verschiedenen Hunderassen Hunde aus 30 verschiedenen Rassen und 10 Europäischen Ländern getestet. Der Defekt im MDR1-Gen wurde u. a. bei folgenden Hunderassen gefunden: Collie (Kurzhaarcollie und Langhaarcollie), Shetland Sheepdog, Australian Shepherd, Bobtail und Border-Collie. Obwohl bisher noch keine nt230(del4) Mutation beim Bearded Collie nachgewiesen werden konnte, lässt die geringe Probenzahl noch keine endgültige Bewertung zu. Bei den Rassen Wäller und Bobtail konnten bisher nur heterozygot von diesem Defekt betroffene Hunde (MDR1+/−) nachgewiesen werden, mit dem Auftreten homozygoter Mutationen müsste allerdings auch bei diesen Rassen gerechnet werden. Beim Wäller ist es jedoch so, dass die Zuchttiere getestet sein müssen und bei der Verpaarung darauf geachtet wird, ein Trägertier nur mit einem freien zu verpaaren, damit es eben nicht zu homozygoten Welpen kommt. Des Weiteren ist der Defekt bei folgenden Rassen bekannt: Deutscher Schäferhund, English Shepherd, McNab, Silken Windhound, Langhaarwhippet, Berger Blanc Suisse sowie einigen seltenen Rassen.[2] Seit Anfang 2008 werden außerdem weitere Rassen wie Barsoi, Belgischer Schäferhund oder Kelpie auf den Defekt untersucht.

Rasseverteilung des MDR1-Defekts

RasseMDR-Genotyp (%)
 MDR1(+/+)MDR1(+/−)MDR1(−/−)
Collie194536
Shetland Sheepdog49438
Australian Shepherd62326
Miniatur Australian Shepherd54433
Wäller65350
Bobtail
(Old English Sheepdog)
9280
Border Collie98,70,90,4
Bearded Collie10000
Langhaar-Whippet256015
Weißer Schweizer Schäferhund75232


Information zum MDR1 Protein

Das Multidrug-Resistance-Protein 1 (MDR1) (auch: PGP-Pumpe) ist ein Protein in der Zellmembran der Zellen von Tieren, Pilzen und Bakterien. Es bildet einen aktiven Transporter, der unter ATP-Verbrauch zelltoxische Stoffe aus der Zelle pumpt. MDR1 gehört zur Familie der in Eukaryoten und Bakterien vorkommenden Multidrug Resistance-Related Proteine, die wiederum Klasse B der ABC-Transporter ausmachen. Beim Menschen wird das Protein in Leber, Nieren, Dünndarm und Gehirn exprimiert. Mutationen im ABCB1-Gen können zu erhöhter Anfälligkeit für Typ 13 der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (IBD13) führen.

Die PGP-Pumpe hat folgende Auswirkungen:

  1. Zytostatika werden durch die PGP-Pumpe aus der Tumorzelle ausgeschleust
  2. Antibiotika werden durch die PGP-Pumpe aus dem Bakterium ausgeschleust
  3. Neurotoxine werden durch die PGP-Pumpe aus den Gehirnzellen über die Blut-Hirn-Schranke in den Blutkreislauf zur metabolischen Entsorgung ausgeschleust (siehe Loperamid).
  4. Arzneimittel können bei oraler Applikation auf Grund der Affinität zu MDR1 eine verminderte Bioverfügbarkeit aufweisen.

In den ersten beiden Fällen ist die PGP-Pumpe extrem unerwünscht. Es gibt bereits Forschungserfolge darin, Mittel zu finden, um die PGP-Pumpe selektiv zu deaktivieren. Dazu gehören unter anderem altbekannte Arzneistoffe wie Verapamil oder neue Arzneistoffe wie Elacridar. Man versucht z. B. Wirkstoffe an monoklonale Antikörper (mAK) zu koppeln und damit gezielt zu Tumorzellen zu dirigieren. Der Antikörper bindet an Oberflächen-Rezeptoren, die dann von der Zelle internalisiert (aufgenommen) werden. In der Zelle wird der Wirkstoff vom Antikörper abgespalten und entfaltet seine Wirkung. In diesem Fall kann die PGP-Pumpe umgangen werden. Ein anderer Ansatz ist es, die Expression der Effluxpumpe zu unterbinden.

Die PGP-Pumpe wird unter anderem durch folgende Arzneistoffe gehemmt:

  • Amiodaron
  • Azithromycin
  • Captopril
  • Clarithromycin
  • Ciclosporin
  • Piperin
  • Quercetin
  • Chinidin
  • Chinin
  • Reserpin
  • Ritonavir
  • Tariquidar
  • Verapamil
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